Berliner Gambenbuch

Weltersteinspielung

Suite G-Dur / in G major
Weihnachts-Suite I / Christmas Suite I
Weihnachts-Suite II / Christmas Suite II:
Suite d-Moll / in D minor
Suite G-Dur / in G major (Skordatur)
Passions-Suite g-Moll / in G minor (Skordatur)
Oster-Suite / Easter Suite
Suite B-Dur / in B flat major (Skordatur)

Veröffentlichung 2015

Ensemble Art d’Echo:
Kai Roterberg, Gesang / Vocal · Ophira Zakai, Theorbe / theorbo
Klaus Eichhorn, Truhenorgel / organ
Juliane Laake
Viola da gamba – Leitung / Director

HÖRBEISPIEL

Hier einige Medienbeiträge zur neuen CD „Berliner Gambenbuch“:

Auf www.indianapublicmedia.org
Radio-Interview (Download)

Viola da Gamba Nr. 96, August 2015

»Nach ihrem Solo-Debut mit Werken von Marin Marais (2011) hat die Gambistin Juliane Laake diesmal ein Thema für eine Einspielung gewählt, das unbekannter ist und deshalb recherche-intensiv ausfällt: Es handelt sich um ein kleinformatiges Büchlein, ähnlich dem Manuskript von Dubuisson (Recueil de pièces de viole, 1666), das heutzutage in der Biblothèque nationale de France aufbewahrt wird und auch aktuell noch Spekulationen um Entstehung und Zusammenstellung zulässt. Natürlich ist es als bedeutende Sammlung, die ein Repertoire für Viola da Gamba in Tabulatur offeriert, genauer gesagt als Spielweise für die sog. Lyra Viol. spätestens seit dem Thematic Index of music for viols von Gordon Dodd (1980ff.) oder der einschlägigen Behandlung bei Annette Otterstedt (1989) bekannt. Pere Ross hat sich 2006 intensiver mit einem speziellen Segment der 270 Blatt (!) umfassenden Kollektion beschäftigt. Das sog. Berliner Gambenbuch, das vielleicht über die kurfürstliche in die Königliche Bibliothek Friedrichs des III. Eingang gefunden hat, evtl. durch die Hände des sehr sammlungsfreudigen und anerkannten Musikbibliothekars Siegried Dehn und seines Nachfolgers Franz Espagne gegangen ist, wurde zu Zeiten des Bibliotheksleiters Karl Richard Lepsius unter dem Monarchen Wilhelm I. und seinem Ministerpräsidenten Bismarck mit über 200 anderen Musikalien nach Paris verkauft. Es trägt nun als Titel lediglich die Zählung Rés.IIII (Eingangs-Nr. 22334). Das Zusammengetragene ist nicht aus einem Guss. Mehrere Schreiber sind vertreten, und stilistisch erkennt man einen größeren Zeitraum, in dem das Konglomerat entstanden ist: Wenige Blätter sind unbeschrieben, einige dann doch in normaler Notation. Die Hauptrichtung bei der Kompilierung wird durch suitenartige Zusammenstellungen vorgegeben, die Provenienz, auch wenn nur wenige Komponisten namentlich bekannt sind, ist deutlich englisch orientiert, zumal diese Art des Repertoires vor allem seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf der Insel gepflegt wurde. Und doch tauchen über die Sammlung verstreut, mal direkt hintereinander, mal weiter auseinander liegend, im Ablauf des Buches eine größere Anzahl von Chorälen oder choralartigen Liedern auf. Sie tragen deutsche Titel, sind ansonsten untextiert und fallen in ihrer Satzweise, die fast durchweg akkordisch fundiert ist, aus dem sonst eher lockeren Gefüge der Tanzsätze heraus. Die Krakauer Lautenmanuskripte (Mus. Ms 40150 und 40151) z. B., jedoch um 1750 datiert, verfügen über ein großes Kontingent an intravolierten Chorälen, wohl auch zur privaten musikalischen Andacht. Diese Vokalvorlagen aber zur Bearbeitung für Viola da Gamba stellen eher eine Seltenheit dar. Die Sammlung Ms Wenster G.28 (s-L) liefert zu „Nun ruhen alle Wälder“ in Rés. IIII immerhin eine Konkordanz. Ansonsten bringen die so herausragenden Kompilatonen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts häufig nicht nur ähnliche Suitenabfolgen wie die Pariser Sammlung, sondern auch zumeist dieselben Komponisten (Hotmann, Dubuisson, Jenkins, Young, Steffkins u. a. m.) mit nahezu internationalem Repertoire. Trotzdem ist die Anzahl der zeitgenössischen konkordanten Beispiele in der Sammlung Marsh (1666), Playford (Musick`s recreation, 1682), Goess A, B, II, Manchester Gamba Book (ca. 1660), John Moss (1671) erstaunlich überschaubar bis nicht vorhanden.
Da bis auf wenige Ausnahmen die Stücke innerhalb unserer Sammlung von 1674 sehr kurz und häufig einfach gestrickt sind, ist es an der Interpretin, eine Form zu finden, die die Präsentation besonders interessant und hörenswert macht. 40 ausgewählte Kompositionen werden zu acht Einheiten gefügt, die zwischen zwei und sieben Sätzen enthalten; dabei ist das verbindende Moment die jeweils übergeordnete Stimmung: 4 Gruppen stehen in normaler ffeff-Stimmung, die übrigen vier sind für verstimbte Violdigamb (fedfb, defbf, edfbf, efdef von insgesamt 13 enthaltenen Stimmungen), von der Gambistin lediglich als Scordatur gekennzeichnet. Die Einordnung der Choräle ins Kirchenjahr gibt Laake die Möglichkeit, Titel der Weihnachts-, Passions- oder Ostersuite zu vergeben. Die Abfolge der einzelnen Sätze in der Vorlage – dort finden wir eine Zuordnung zu Suiten in entsprechender Stimmung – wird nicht immer eingehalten, manches wird umgestellt, um einen größeren Kontrast zu erzielen oder dem Ohr auch einschmeichelndere Übergänge zu ermöglichen. Auch bei affektreichen Stücken kommt die Varietas nicht zu kurz. Schon der Wechsel zwischen Tänzen, die von der zelebrierten Einstimmigkeit über Intervallanreicherung bis zu gebrochenen Akkorden reichen, und den durchweg akkordisch umgesetzten Kantionalsätzen enthält einen anderen Charakter durch die differierende Satzdichte. Dazu bietet das Material des „Berliner Gambenbuches“ in sich schon Abwechslungsreiches und Unterhaltsames: Über die notierten Wiederholungen hinaus tauchen auch gerne mal Variationsfolgen auf (Allemand-Variatio, Saraband-Variatio, Choral-Variatio), Anklänge an Grounds vom Simpson oder Volksliedhaftes wie bei Hely (The Compleat Violist). Um nicht nur die Gambe zu Wort kommen zu lassen, bekommen die Musiker des Ensembles Art dÉcho Raum zur Entfaltung. Mal wird ein Choral rein vocaliter vorgetragen, mal mit Orgel oder gemeinsam mit der Theorbe oder grundiert durch den vorgegebenen Gambenpart, mal aber auch spielerisch ausgedehnt und sogar durch fremdes Gut umspielt und zur Mehrstimmigkeit ergänzt.
Durch ihren musikalischen Gestaltungswillen geling es der Gambistin, dieses interessante Repertoir (Ersteinspielung) abwechslungsreich und intelligent zu präsentieren: So erklingen perlende Läufe, feinsinnig gezupfte Passagen oder mit Verve gespielte zu Herzen gehende Choralzeilen. Selbst wenn vereinzelt mehrere Kantionalsätze hintereinander folgen, ist die Wahl der Mittel so gelungen, dass keine Langeweile aufkommt. Form- und klangschön werden die fast Aphorismus zu nennenden Sätzlein mit Leichtigkeit wiedergegeben, bzw. erhalten ihre Tiefe besonders durch die interpolierten geistlichen Sätze. Mit der Gesangsstimme kommt eine neue Qualität hinzu, die die Andachtsaspekte plausibel macht; die (nicht vollständig) abgedruckten Liedertexte vereinfachen das Verständnis und spiegeln den jetzigen Quellenstand wider. Zum Wohlfühlpaket trägt auch das aufschlussreiche und gut gemachte Booklet bei. – Eine besondere Einspielung, die nur zu empfehlen ist!« Veronika Greuel, Viola da Gamba Nr. 96, August 2015